Der Abgang: Der letzte Eindruck, der über die wahre Qualität entscheidet
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Beim Weinverkosten konzentrieren wir uns oft auf den ersten Eindruck: die Farbe im Glas, das Bukett in der Nase und den Geschmack am Gaumen. Doch die wahre Meisterschaft eines Weins zeigt sich oft erst nach dem Schlucken. In diesem Moment, in dem der Wein den Gaumen bereits verlassen hat, offenbart sich sein wahrer Charakter: im Abgang.
Der Abgang, auch "Finale" oder "Nachhall" genannt, ist eines der wichtigsten Kriterien zur Beurteilung von Weinqualität. Er ist der Unterschied zwischen einem einfachen "lecker" und einem unvergesslichen "Wow".
Was ist der Abgang?
Der Abgang ist die Gesamtheit aller Geschmackseindrücke und Empfindungen, die im Mund zurückbleiben, nachdem der Wein geschluckt (oder ausgespuckt) wurde.
Hier geht es nicht mehr um den primären Fruchtgeschmack. Hier geht es um die Aromen und Texturen, die "haften" bleiben. Ein großer Wein verabschiedet sich nicht leise, er klingt nach.
Die alles entscheidende Frage: Wie lang ist der Abgang?
Die Qualität eines Abgangs wird primär über seine Länge definiert. Weinkenner "messen" die Länge in Kaudalien (eine Kaudalie entspricht einer Sekunde Nachgeschmack).
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Kurzer Abgang (0-3 Sekunden): Der Geschmack ist sofort weg. Der Wein wirkt "kurz" oder "flach". Dies ist oft ein Zeichen für einfache Weine mit wenig Substanz.
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Mittlerer Abgang (4-7 Sekunden): Der Wein klingt angenehm nach, die Aromen bleiben einen Moment präsent. Das ist das Kennzeichen eines soliden, gut gemachten Qualitätsweins.
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Langer Abgang (8+ Sekunden): Der Geschmack bleibt und bleibt. Er entwickelt sich vielleicht sogar weiter, zeigt neue Facetten von Mineralität oder Würze. Ein langer Abgang ist ein untrügliches Zeichen für einen Spitzenwein.
Was macht einen langen Abgang aus? Extrakt!
Ein Wein kann nur dann lange nachklingen, wenn er "etwas" hat, das nachklingen kann. Dieses "Etwas" ist der Trockenextrakt.
Ein hoher Extraktgehalt ist die Grundvoraussetzung für einen langen Abgang. Dieser Extrakt – die Summe aller nichtflüchtigen Stoffe wie Gerbstoffe, Mineralien und Phenole – ist der Träger der Aromen. Je mehr Substanz der Wein hat (oft ein Ergebnis von Grünlese und einem großen Terroir), desto körperreicher ist er und desto intensiver ist sein Finale.
Weine von kargen Böden wie Schiefer (Heimat von K-J Thul) oder Kalkmergel (Heimat von Dr. Heigel) sind oft berühmt für ihren langen, mineralischen Abgang.
Qualität im Finale: Ein Beispiel zum Schmecken
Ein langer Abgang ist nicht nur lang, er muss auch angenehm sein. Ein bitterer oder alkoholischer Nachgeschmack ist zwar lang, aber fehlerhaft.
Ein perfekter, komplexer Abgang ist vielschichtig. Ein herausragendes Beispiel dafür liefert die Beschreibung des Elysium Weißburgunder Fass 13 vom Weingut Dr. Heigel aus der exklusiven Elysium Kollektion.
Der Wein wird als extraktreich und körperreich beschrieben, mit Aromen von Würz- und Kräuternoten, Blutorange und Pampelmuse. Und dann das Finale:
"Im Finale die abgeriebene Schale der Grapefruit. Königlich!"
Das ist ein perfekter Abgang. Er ist nicht einfach "weg", sondern setzt einen letzten, präzisen, aromatischen Akzent ("Grapefruitschale"), der den Wein komplex und unvergesslich macht. Das ist die Art von Qualität, nach der Kritiker wie Falstaff oder Gault-Millau suchen.
Fazit: Vertraue dem Nachgeschmack
Achte beim nächsten Schluck Weißwein oder Rotwein bewusst auf den Moment nach dem Schlucken. Schließe die Augen und zähle, wie lange der angenehme Geschmack anhält.
Der Abgang lügt nie. Er ist der ehrlichste Indikator für die Sorgfalt im Weinberg (Erzeugerabfüllung) und die wahre Qualität im Glas.