Edelfäule (Botrytis): Wenn ein Pilz Trauben in flüssiges Gold verwandelt

Edelfäule (Botrytis): Wenn ein Pilz Trauben in flüssiges Gold verwandelt

In der Welt des Weins ist Fäulnis normalerweise der Erzfeind des Winzers. Ein feuchter Herbst kann die gesamte Ernte vernichten. Doch es gibt eine magische Ausnahme: einen Pilz, der unter ganz bestimmten Bedingungen Trauben nicht zerstört, sondern sie veredelt und die Basis für die süßesten, komplexesten und teuersten Weine der Welt schafft.

Die Rede ist von Botrytis cinerea, dem "Edelpilz" – besser bekannt als Edelfäule.

 

Was ist Edelfäule?

 

Edelfäule ist ein Schimmelpilz, der Trauben befällt. Klingt schlecht? Ist es auch, wenn es nass bleibt. Dann wird er zur gefürchteten "Graufäule" (Grauschimmel) und zerstört die Ernte.

Für die Edel-Fäule braucht es ein ganz spezielles Mikroklima, das man oft in Flusstälern (wie an der Mosel oder der Nahe) findet:

  1. Feuchte Morgen: Nebel, der vom Fluss aufsteigt, legt sich auf die reifen Trauben und lässt den Botrytis-Pilz wachsen.

  2. Sonnige, trockene Nachmittage: Die Sonne trocknet die Trauben, stoppt die aggressive Ausbreitung des Pilzes und verhindert die Graufäule.

 

Was macht der Pilz mit der Traube?

 

Dieser feucht-trockene Zyklus ist der Schlüssel. Der Pilz durchdringt die Traubenhaut, ohne sie aufplatzen zu lassen – er macht sie porös.

Jetzt passiert die Magie:

  1. Wasser verdunstet: Durch die perforierte Haut entweicht das Wasser aus der Traube. Die Beere schrumpft rosinenartig ein.

  2. Extreme Konzentration: Zurück bleibt ein Most mit einer extrem hohen Konzentration an Zucker, Säure und Extrakt. Das Mostgewicht (gemessen in Oechsle) explodiert.

  3. Neue Aromen: Der Pilz selbst erzeugt während seines Stoffwechsels neue, einzigartige Aromen im Saft – Noten von Honig, Bienenwachs, Safran und getrockneten Aprikosen.

 

Die Weine der Edelfäule: Die Spitze der Pyramide

 

Edelfäule ist die Voraussetzung für die höchsten Stufen der deutschen Prädikatsweine. Diese Weine können nicht jedes Jahr erzeugt werden, sondern nur in Jahrgängen mit perfektem Herbstwetter.

  • Auslese: Kann (muss aber nicht) von Edelfäule beeinflusst sein, um die Intensität zu steigern.

  • Beerenauslese (BA): Hierfür werden von Hand einzelne, edelfaule Beeren aus den Trauben selektiert. Das Ergebnis ist ein intensiver, süßer Dessertwein.

  • Trockenbeerenauslese (TBA): Die absolute Spitze. Nur die am Stock fast komplett zu Rosinen eingetrockneten, edelfaulen Beeren werden "trocken" gelesen. Der Most ist so süß (oft über 300 Oechsle), dass er kaum gären kann. Das Ergebnis ist ein seltener, sirupartiger "Nektar", der ein Leben lang reifen kann.

 

Ein Geschenk des Terroirs

 

Die großen Regionen für Edelfäule in Deutschland sind die Flusstäler – allen voran die Mosel und die Nahe.

Diese Regionen sind die Heimat unserer Partnerwinzer. Auch wenn der Fokus bei Vinocom stark auf herausragenden trockenen Weinen liegt – von reinsortigen, mineralischen Schiefer-Rieslingen (wie von K-J Thul oder Lubentiushof) bis hin zu den körperreichen Weinen vom Weingut Adelseck an der Nahe – ist es dieses spezielle Terroir, das das Potenzial für diese "edlen" Süßweine erst ermöglicht.

Die Ernte von edelfaulen Beeren ist eine mühsame, riskante Handarbeit. Sie erfordert dieselbe "kompromisslose Qualitätskontrolle", die Winzer wie Adelseck auszeichnet.

 

Fazit: Ein süßes Wunder der Natur

 

Edelfäule ist ein faszinierendes Wunder der Natur. Sie ist der Beweis, dass unter perfekten Bedingungen selbst ein Schimmelpilz etwas von unvergleichlicher Komplexität und Süße schaffen kann.

Während die meisten Weine (wie ein trockener Weißwein) aus perfekt gesunden, oft reduktiv verarbeiteten Trauben stammen, sind Beerenauslesen und TBAs das "flüssige Gold", das nur durch dieses riskante Spiel mit der Natur entsteht.

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