Adstringenz: Wenn der Wein den Mund "pelzig" macht

Adstringenz: Wenn der Wein den Mund "pelzig" macht

Jeder, der gerne kräftigen Rotwein trinkt, kennt dieses Gefühl nur zu gut: Man nimmt einen Schluck, und im nächsten Moment fühlt sich die gesamte Mundhöhle trocken, rau und wie "zusammengezogen" an. Die Zunge klebt fast am Gaumen, ein pelziges Gefühl breitet sich aus.

Dieses Phänomen hat einen Namen: Adstringenz (oder Adstringenzgefühl).

Auch wenn es im ersten Moment vielleicht irritierend wirkt, ist Adstringenz kein Weinfehler. Im Gegenteil, es ist eine entscheidende Eigenschaft, die großen Rotweinen ihre Struktur, ihren Körper und ihre Langlebigkeit verleiht. Wir erklären, was Adstringenz ist und woher sie kommt.

 

Was ist Adstringenz? Ein Gefühl, kein Geschmack

 

Das Wichtigste zuerst: Adstringenz ist kein Geschmack, so wie süß, sauer, salzig, bitter oder umami. Adstringenz ist eine haptische oder taktile Empfindung – also etwas, das wir fühlen, nicht schmecken.

Es wird als "adstringierend" (zusammenziehend), herb, rau oder trocken beschrieben. Der Grund für dieses Gefühl ist eine chemische Reaktion im Mund.

 

Der Auslöser: Gerbstoffe (Tannine)

 

Der alleinige Verantwortliche für die Adstringenz im Wein sind die Gerbstoffe, auch Tannine genannt.

Gerbstoffe sind natürliche Polyphenole, die die Eigenschaft haben, sich an Proteine zu binden. Unser Speichel ist voller Proteine (Muzine), die als natürliches "Schmiermittel" für unseren Mund dienen.

Wenn nun ein tanninreicher Rotwein auf unseren Speichel trifft, passiert Folgendes:

  1. Die Gerbstoffe binden sich sofort an die Proteine im Speichel.

  2. Dadurch verliert der Speichel seine Schmierfähigkeit.

  3. Die Oberfläche von Zunge und Gaumen wird "entblößt", der natürliche Schutzfilm fehlt.

  4. Wir empfinden Reibung – das klassische raue, trockene und pelzige Gefühl der Adstringenz.

 

Woher kommen die Tannine?

 

Rotwein ist deshalb so adstringierend, weil er – anders als Weißwein – mitsamt den Schalen, Kernen und manchmal sogar Stielen vergoren wird. Aus diesen festen Bestandteilen werden die Gerbstoffe herausgelöst.

Eine weitere Quelle ist der oxidative Ausbau im Eichenfass (Barrique), da auch das Holz Tannine an den Wein abgibt. Winzer wie Goswin Kranz nutzen dies gezielt, um ihren "gehaltvollen Rotweinen" Struktur zu geben.

 

Gut vs. Schlecht: Die Qualität der Adstringenz

 

Adstringenz ist nicht gleich Adstringenz. Die Qualität der Gerbstoffe ist entscheidend dafür, wie wir sie empfinden:

  • Gute Adstringenz (Reife Tannine): Fühlt sich "feinkörnig", "samtig" oder "seidig" an. Sie verleiht dem Wein ein starkes Rückgrat, einen körperreichen Eindruck und einen langen Abgang. Sie ist ein Zeichen für einen extraktreichen Wein aus perfekt gereiften Trauben (Erzeugerabfüllung).

  • Schlechte Adstringenz (Grüne Tannine): Fühlt sich "aggressiv", "kratzig", "hart" und oft bitter an. Dies deutet auf unreifes Traubenmaterial hin, bei dem die Tannine noch nicht "ausgereift" waren.

 

Der perfekte Partner: Adstringenz & Essen

 

Das Wissen um die Adstringenz ist der Schlüssel zum perfekten Food-Pairing. Warum passt ein kräftiger Rotwein so genial zu einem fetten Steak oder reifem Käse?

Weil die Gerbstoffe sich liebend gerne an die Fette und Proteine im Essen binden – anstatt an die Proteine in deinem Speichel. Das Essen "puffert" die Tannine ab, der Wein wirkt sofort viel weicher, runder und fruchtbarer. Inspirationen für solche Pairings findest du auf unserer Rezept-Seite.

 

Fazit: Das Rückgrat des Rotweins

 

Adstringenz ist das Rückgrat eines jeden großen Rotweins. Sie ist kein Fehler, sondern ein wesentliches Strukturelement, das dem Wein seinen Körper verleiht und ihn lagerfähig macht.

Achte beim nächsten Schluck Wein auf dieses Gefühl. Ist es hart und grün oder feinkörnig und reif? Es verrät dir unglaublich viel über die Qualität der Trauben und das Können des Winzers.

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