Avinieren: Der Sommelier-Trick für den perfekten ersten Schluck
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Jeder Weinliebhaber kennt die Rituale: das Öffnen der Flasche, das Betrachten der Farbe, das erste Schwenken und Riechen. Doch es gibt einen kleinen, professionellen Schritt, den viele zu Hause überspringen, der aber einen erstaunlichen Unterschied machen kann: das Avinieren.
Dieser Fachbegriff klingt kompliziert, beschreibt aber eine simple und hocheffektive Handlung, um Glas oder Karaffe auf den Wein "einzustimmen". Wir erklären, was Avinieren ist, warum es so wichtig ist und wie du es ganz einfach selbst anwenden kannst.
Was ist Avinieren genau?
Avinieren (abgeleitet vom französischen aviner – "mit Wein einstimmen") ist nichts anderes als das Ausspülen eines Weinglases oder einer Karaffe mit einem kleinen Schluck des Weins, der gleich serviert wird.
Dieser erste, kleine Schluck Wein wird "geopfert". Er benetzt die gesamte Innenfläche des Gefäßes und wird anschließend weggeschüttet (oder ins nächste Glas zur Vorbereitung gegeben), bevor der eigentliche Wein eingeschenkt wird.
Warum sollte man ein Glas Avinieren?
Der Gedanke, guten Wein wegzuschütten, mag schmerzen, aber die Gründe dafür sind überzeugend. Das Avinieren dient zwei Hauptzielen:
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Reinigung und Neutralisierung:
Selbst ein perfekt sauberes Glas ist selten 100% neutral. Das Avinieren entfernt zuverlässig:
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Feinste Staubpartikel: Wenn das Glas länger im Schrank stand.
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Poliertuch-Fusel: Feine Textilfasern, die vom Polieren zurückbleiben.
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Fremdgerüche: Der hartnäckigste Feind. Das können Reste von Spülmittel sein oder der "Schrankgeruch" (muffig, holzig), den ein Glas bei der Lagerung annehmen kann.
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Einstimmung des Glases (Aklimatisierung):
Jedes Material, auch Glas, hat eine eigene "Spannung" und ist oft kühler als der Wein. Das Avinieren benetzt die Oberfläche und "imprägniert" das Glas mit dem Weinaroma. Der Wein, der danach eingeschenkt wird, trifft auf eine "vorbereitete" Oberfläche und kann sein Bouquet sofort voll entfalten, anstatt gegen ein steriles, neutrales Gefäß "ankämpfen" zu müssen.
Avinieren vs. Dekantieren: Der wichtige Unterschied
Diese beiden Begriffe werden oft verwechselt, beschreiben aber unterschiedliche Vorgänge:
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Avinieren: Bezieht sich auf das Vorbereiten des Gefäßes (Glas oder Karaffe).
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Dekantieren: Bezieht sich auf das Umfüllen des Weins in eine Karaffe. Dies geschieht entweder, um einen reifen Rotwein von seinem Bodensatz (Depot) zu trennen oder um einen jungen, körperreichen Wein mit Sauerstoff zu belüften (oxidativer Kontakt).
Der Profi-Tipp: Man aviniert die Karaffe, bevor man den Wein in sie dekantiert! Das ist sogar der wichtigste Anwendungsfall, da Karaffen oft schwer zu reinigen sind und Staub ansetzen.
Wie aviniert man richtig? Die Anleitung
Es ist ganz einfach und dauert nur Sekunden:
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Einschenken: Gieße nur einen winzigen Schluck Wein (ca. 1-2 cl) in das Glas oder die Karaffe.
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Schwenken: Schwenke das Gefäß langsam und bedächtig, sodass die gesamte Innenfläche einmal komplett mit dem Wein benetzt wird.
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Prüfen (Optional): Rieche kurz am Glas. Du würdest jetzt sofort einen Korkgeschmack oder Fremdgerüche erkennen, ohne mehr vom Wein zu verschwenden.
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Ausschütten: Gieße den kleinen Schluck weg (am besten in einen Ausguss oder Spucknapf, nicht zurück in die Flasche!).
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Genießen: Schenke nun den Wein zum Trinken ein. Du wirst einen reineren, klareren Duft wahrnehmen.
Muss ich das zu Hause wirklich machen?
Hier ist eine ehrliche Einschätzung:
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Für den Alltagswein: Nein. Wenn dein Glas frisch gespült und geruchsneutral ist, ist es nicht nötig.
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Beim Dekantieren: Unbedingt! Eine Karaffe zu avinieren ist ein Muss, um Staub und Gerüche zu entfernen.
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Für hochwertige Weine: Sehr empfohlen! Wenn du einen besonderen Wein öffnest – sei es ein gereifter Prädikatswein wie der 2016 Silvaner Spätlese vom Weingut Dr. Heigel oder ein komplexer, mineralischer Riesling vom Lubentiushof – dann hat dieser Wein den Respekt verdient. Du willst die pure Terroir-Note riechen, nicht den Pappgeruch deines Küchenschranks.
Fazit: Ein kleiner Preis für puren Genuss
Avinieren ist ein kleiner, eleganter Handgriff, der den Unterschied zwischen "gut" und "perfekt" machen kann. Es ist ein Zeichen von Respekt vor dem Produkt und stellt sicher, dass der erste Eindruck im Glas – der wichtigste Moment – nicht durch vermeidbare Störfaktoren getrübt wird.