Oxidativer Ausbau: Wenn Sauerstoff der Freund des Weines ist

Oxidativer Ausbau: Wenn Sauerstoff der Freund des Weines ist

In vielen unserer Wein-Beiträge, wie dem über den reduktiven Ausbau, feiern wir die knackige Frische und die reine Primärfrucht, die durch den Ausschluss von Sauerstoff entsteht. Doch in der Weinwelt gibt es keinen alleinigen Königsweg. Für einige der komplexesten und langlebigsten Weine der Welt ist Sauerstoff kein Feind, sondern ein unverzichtbares Werkzeug.

Willkommen in der Welt des oxidativen Ausbaus – einer Methode, bei der der kontrollierte Kontakt mit Luft den Wein nicht zerstört, sondern ihn formt, reift und veredelt.

 

Was ist Oxidativer Ausbau?

 

Oxidativer Ausbau ist das genaue Gegenteil des reduktiven Stils. Es beschreibt eine Weinherstellung, bei der der Winzer den Wein bewusst und kontrolliert mit Sauerstoff in Kontakt bringt.

Dieses "Atmen" des Weins ist kein Unfall, sondern eine gewünschte Stilistik. Ziel ist es, den Wein zu entwickeln, seine Aromen zu verändern und ihm eine andere Struktur zu geben.

 

Oxidativ vs. Reduktiv: Zwei Welten

 

Um den oxidativen Stil zu verstehen, muss man seinen Gegenpol kennen:

  • Reduktiver Ausbau: Findet im luftdichten Edelstahltank statt. Ziel ist die Bewahrung von Frische, Primärfrucht (z.B. Zitrus, grüner Apfel) und knackiger Säure. Der Wein bleibt "jugendlich".

  • Oxidativer Ausbau: Findet meist im porösen Holzfass (Barrique) statt. Ziel ist die Entwicklung von Sekundär- und Tertiäraromen (Nüsse, Honig, Trockenfrüchte), die Weichmachung von Tanninen und eine tiefere Farbstruktur. Der Wein "reift".

 

Das wichtigste Werkzeug: Das Holzfass

 

Das klassische Instrument für den oxidativen Ausbau ist das Holzfass, sei es das traditionelle große "Stückfass" oder das kleine 225-Liter-Barrique.

Holz ist nicht komplett dicht. Es ist porös und lässt über Monate und Jahre hinweg winzigste Mengen an Sauerstoff an den Wein – ein Prozess, der Mikrooxidation genannt wird.

Diese langsame "Atmung" bewirkt Wunder:

  • Bei Rotwein: Die Tannine (Gerbstoffe) werden weicher. Sie verbinden sich durch den Sauerstoff zu längeren Ketten, was den Wein runder und geschmeidiger macht.

  • Bei Weißwein: Die Farbe wird tiefer und goldener. Die Textur wird cremiger, oft unterstützt durch den Kontakt mit der Hefe (Bâtonnage).

Einige unserer Winzer nutzen diese Technik meisterhaft. Das Weingut Goswin Kranz von der Mosel etwa lässt seine gehaltvollen Rotweine gezielt "in Holzfässern und Barriques reifen", um ihnen Struktur und Komplexität zu verleihen.

 

Welche Aromen erzeugt der oxidative Ausbau?

 

Während der reduktive Wein von frischer Frucht lebt, entwickelt der oxidative Wein ein völlig anderes Bouquet. Die Primärfrucht tritt in den Hintergrund und macht Platz für sogenannte Tertiäraromen:

  • Nussige Noten (Walnuss, Haselnuss)

  • Honig und Bienenwachs

  • Trockenfrüchte (Dörraprikose, Rosine)

  • Gewürznoten (Nelke, Vanille – oft vom Fass selbst)

  • Karamell, Toffee, Kaffee

Klassische Beispiele für extrem oxidative Weine sind Sherry, Portwein, Madeira oder Vin Jaune aus dem französischen Jura. Aber auch viele große Bordeaux, Burgunder oder gereifte Rieslinge verdanken ihre Komplexität einem Hauch von oxidativem Ausbau.

 

Wichtig: Oxidativ (Stil) vs. Oxidation (Weinfehler)

 

Hier liegt der entscheidende Unterschied, den es zu verstehen gilt:

  • Oxidativer Ausbau (Stil): Dies ist ein langsamer, kontrollierter Prozess. Der Winzer steuert die Sauerstoffzufuhr, um den Wein zu veredeln. Der Wein schmeckt komplex, nussig, reif und lebendig.

  • Oxidation (Weinfehler): Dies ist ein schneller, unkontrollierter Prozess. Er passiert, wenn ein Wein "gekippt" ist, z.B. durch einen defekten Korken oder zu lange Lagerung nach dem Öffnen. Der Wein verliert seine Frucht, riecht schal, müde und oft nach feuchter Pappe oder braunen Apfelkernen.

 

Fazit: Die Kunst des Atmens

 

Der oxidative Ausbau ist eine traditionelle Kunst, die Weine mit Tiefe, Reifepotenzial und einer faszinierenden Aromenvielfalt hervorbringt. Es ist die bewusste Entscheidung eines Winzers, den Wein nicht "einzusperren", sondern ihn auf seiner Reise zur vollen Entfaltung zu begleiten.

Es ist, wie das Terroir oder die Entscheidung zur Spontanvergärung, ein weiterer Pinselstrich in der Hand des Winzers, um einen Wein mit einzigartigem Charakter zu schaffen.

Tilbake til bloggen